Peter Wust – eine biographische Skizze

von Werner Schüßler

Peter Wust wird am 28. August 1884 in Rissenthal bei Losheim im Saarland geboren. Nach dem Abitur 1907 am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium Trier und zeitgleichem langjährigen Internatsaufenthalt im Bischöflichen Konvikt in Trier studiert er zwei Semester in Berlin, u.a. bei Friedrich Paulsen Philosophie, daneben – als Brotberuf – Anglistik und Germanistik mit dem Ziel des Gymnasiallehrers. 1908 wechselt er an die Universität Straßburg. Dort hört er vor allem bei dem Philosophen Clemens Baeumker, einem katholischen Philosophiehistoriker, der sich besonders um die Erforschung der mittelalterlichen Philosophie verdient gemacht hat. 1910 macht er sein philologisches Staatsexamen und ist danach 20 Jahre lang im höheren Schuldienst tätig, u.a. in Neuß, Trier und Köln.

Schon früh entsteht bei Wust “der Konflikt zwischen Brotwissenschaft und Lieblingswissenschaft” (Ges. Werke, Bd. V, S. 243). “Um mir ein gewisses Ventil zu schaffen,” schreibt Wust, “fuhr ich im Spätherbst 1911 nach Bonn und sprach mit Professor Oswald Külpe über meinen dringenden Wunsch, mich ganz intensiv mit der Philosophie neben meiner Unterrichtstätigkeit zu befassen. Er zögerte anfangs sehr, mir ein Spezialthema für irgendeine Arbeit zu geben. Aber schließlich gab er dann doch nach und beauftragte mich, die ‘Logik der Geisteswissenschaften’ in der Philosophie John Stuart Mills, des berühmtesten Empiristen in der englischen Philosophie seit David Hume, näher zu untersuchen.” (Bd. V, S. 247) 1914 wird Wust mit dieser Arbeit zum Dr.phil. promoviert.

 Der Wechsel nach Köln im Jahre 1921 bedeutet für Wust eine entscheidende geistige Bereicherung, denn hier macht er schon bald die Bekanntschaft mit Max Scheler, dem Begründer der modernen philosophischen Anthropologie. Wust selbst spricht in diesem Zusammenhang von “einer völligen inneren Umwandlung”, “einer ‘Metanoia’ größten Stiles” (Bd. V, S. 246). Die Begegnung mit Scheler verändert sein Leben: “Damit war ein Schritt getan in eine völlig neue, in eine völlig veränderte Welt. Ich verspürte sofort, daß in den Räumen, in denen ich mich beim ersten Besuch befand, die große philosophische Achsendrehung sich vollzog, die dem ganzen Zeitalter die Wendung zum Objektiven geben sollte, denn solche großen Ereignisse des Geistes vollziehen sich unter vielfachen Hin- und Herschwankungen, unter dauernden Rückschlägen und Wiederneuanfängen. Jedenfalls aber war für mich das große Neue darin zu suchen, daß ich in diesem Augenblick zum ersten Male dem wahrhaftigen Genius des Geistes gegenübergetreten zu sein mir bewußt wurde, dem tragischen Genius zwar, aber dem wirklichen Genius, der ganz im Bann der ‘großen Mächte’ stand, der dämonisch-dunklen Mächte der Nacht und der lichtvollen Mächte des Ewigen Tages.” (Bd. V, S. 250f.) Hat Wust noch zu Anfang Pläne, sich bei Scheler zu habilitieren (vgl. Bd. VII, S. 440f.), so muß er dieses Vorhaben doch bald aufgeben; seine inzwischen auf drei Kinder angewachsene Familie zwingt ihn dazu, den Lehrerberuf beizubehalten, und so bleibt für eine Habilitation keine Zeit. Im Oktober 1930 wird Wust dann – für ihn selbst unerwartet – auf den Lehrstuhl des 1929 verstorbenen Philosophen Max Ettlinger in Münster berufen. Hier lehrt er bis zu seinem Tode im Jahre 1940.

Von etwa 1905 ab hatte Wust dem christlichen Glauben ziemlich passiv gegenübergestanden: “Ich zerriß zwar nicht die Fäden, die mich äußerlich noch an die Kirche knüpften”, schreibt er, “aber ich hatte im Grunde den Glauben verloren.” (Bd. V, S. 252) Das ändert sich, als er 1918 die Bekanntschaft mit Ernst Troeltsch macht. Wust berichtet darüber: “Bei Gegenheit einer Tagung in Unterrichtsfragen war ich am 4. Oktober 1918 zu dem berühmten Religionsphilosophen Ernst Troeltsch, mit dem ich damals im Briefwechsel stand, zu einer kurzen Aussprache unter vier Augen eingeladen worden. Tief erschüttert von der Situation der Zeit, versuchte Troeltsch damals neue Kräfte des Glaubens in mir aufsteigen zu lassen. ‘Diese äußere Niederlage, die wir jetzt erleben’, so sagte er mir, ‘braucht Sie nicht zur Verzweiflung zu führen. Denn diese äußere Niederlage ist nur die konsequente Folge jener inneren Niederlage, die wir bereits seit dem Tode Hegels dauernd erleiden, insofern wir den großen alten Väterglauben an die souveräne Macht des Geistes aufgegeben haben.’ Wie ein Blitzschlag durchzuckten diese Worte in jenem Augenblick meine Seele, und nun fügte Troeltsch, anspielend auf meine Glaubensnöte, die ich ihm brieflich geschildert hatte, noch die Mahnung hinzu: ‘Sie sind noch jung. Wenn Sie noch etwas für die Kräfteerneuerung unseres Volkes tun wollen, dann kehren Sie zurück zum uralten Glauben der Väter und setzen Sie sich in der Philosophie ein für die Wiederkehr der Metaphysik gegen alle müde Skepsis einer in sich unfruchtbaren Erkenntnistheorie.'” (Bd. V, S. 252f.)

Wust greift dieses Anliegen Troeltschs in seinem ersten größeren Werk “Die Auferstehung der Metaphysik” von 1920 auf. Die Begegnung mit Troeltsch versteht Wust als einen “ersten schweren Stoß der Gnade”, der schließlich dazu führt, daß er in den Ostertagen 1923 wieder “in die Arme der ‘Una Sancta Ecclesia'” zurückkehrt. “Seit jenem Heimkehrtag aber war alle müde Skepsis mit einem Male hinweggefegt worden”, schreibt Wust. “Seit jenem Tage war ich wieder naiv gläubig wie ein Kind. Seitdem beschäftigte mich auch die Erscheinung der Naivität, der ich 1925 in dem Buche ‘Naivität und Pietät’ meine besondere Aufmerksamkeit zugewendet habe. In dieser Schrift konzentrierte sich mir das ganze tiefgreifende Kontrasterlebnis, das ich seit etwa dreißig Jahren in dem Übergang von der Ruhe der Dorfidylle zur unseligen Unruhe des städtischen Lebens immer tiefer erfahren hatte. Und dahinter steckte ja auch das ganze quälende Menschenrätsel, das in den späteren Jahren die Philosophie immer mehr in ihren Bann lockte.” (Bd. V, S. 253f.)

In der Polarität von Naivität und Pietät sieht Wust “ein Tor, das zu den wunderbarsten Geheimnissen der Menschennatur und der Geistesbewegung in der Menschheitsgeschichte führen konnte, wenn nur jemand den rechten Schlüssel fand, um dieses Tor zu öffnen” (Bd. V, S. 255). Das in “Naivität und Pietät” angesprochene Thema führt Wust weiter “zu der Frage nach der ewigen Unruhe des Menschengeistes” (ibid.), die er in dem 1928 veröffentlichen Werk “Die Dialektik des Geistes” aufarbeitet. – Es waren wohl diese drei Werke, die ihn auch ohne Habilitation berufungsfähig machten. 1937 erscheint sein bedeutendstes Werk, geradezu eine Zusammenfassung seiner Grundgedanken, unter dem Titel “Ungewißheit und Wagnis”. Noch im selben Jahr erkrankt Wust an Oberkieferkrebs. Schon den Tod vor Augen – Wust stirbt am 3. April 1940 qualvoll an dieser Krankheit -, schreibt er am 18. Dezember 1939 an seine Studentinnen und Studenten sein bekanntes “Abschiedswort”, das mit den folgenden Worten endet: “Und wenn Sie mich nun noch fragen sollten, bevor ich jetzt gehe und endgültig gehe, ob ich nicht einen Zauberschlüssel kenne, der einem das letzte Tor zur Weisheit des Lebens erschließen könne, dann würde ich Ihnen antworten: ‘Jawohl’. – Und zwar ist dieser Zauberschlüssel nicht die Reflexion, wie Sie es von einem Philosophen vielleicht erwarten möchten, sondern das Gebet. Das Gebet, als letzte Hingabe gefaßt, macht still, macht kindlich, macht objektiv. Ein Mensch wächst für mich in dem Maße immer tiefer hinein in den Raum der Humanität – nicht des Humanismus -, wie er zu beten imstande ist, wofern nur das rechte Beten gemeint ist. Gebet kennzeichnet alle letzte ‘Humilitas’ des Geistes. Die großen Dinge des Daseins werden nur den betenden Geistern geschenkt. Beten lernen aber kann man am besten im Leiden.” (Bd. VII, S. 339f.)

(Quelle: Werner Schüßler, Einleitung, in: Peter Wust: Ungewißheit und Wagnis. Neu herausgegeben im Auftrag der Peter-Wust-Gesellschaft von Werner Schüßler und F. Werner Veauthier. Einleitung und Anmerkungen von Werner Schüßler [= Edition Peter Wust. Schriftenreihe der Peter-Wust-Gesellschaft, hrsg. von Herbert Hoffmann und Werner Schüßler, Bd. 1], Münster: LIT Verlag 2002, S. 9-22, hier: S. 9-12)